Vom Schwingerkönig zum Schreinermeister
Tradition und Moderne: Diese Kombination fasziniert den dreifachen Schwingerkönig Jörg Abderhalden und zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Gehörte er früher zu den ersten, die im Schwingsport moderne Trainingsmethoden einführten, so kombiniert er heute in seiner Holzmanufaktur das Schreinerhandwerk mit einem modernen Maschinenpark.
Holz ist das dominierende Element bei AAK im beschaulichen Weiler Ulisbach, nur wenige Meter vom Gasthaus Drei Eidgenossen entfernt, das prominent an der Hauptstrasse zwischen Wattwil und Ebnat-Kappel liegt. Moderne, höhenverstellbare Arbeitsplätze mit grossen Bildschirmen prägen den Raum im Erdgeschoss. Die Decke jedoch und der markante Pfeiler mitten im Raum sind aus massivem Holz, ebenso die Treppe, die in die oberen Geschosse führt.
Dort werden die verschiedenen Hölzer angeliefert und verarbeitet. Wobei heute eine Holzart besonders bevorzugt wird: «Momentan verarbeiten wir zu 98 Prozent Eiche – rustikale, robuste Hölzer liegen im Trend», erklärt Jörg Abderhalden. Der frühere Spitzenschwinger ist seit 2007 Miteigentümer der AAK/Holzmanufaktur AG und führt zusammen mit seinem Partner Hanspeter Künzli ein Team von 22 Mitarbeitenden.
Stets mehrere Pfeile im Köcher
Trotz einer Sportlerkarriere auf höchstem Niveau hat der Toggenburger nie nur auf ein Pferd gesetzt. Als es noch keine Sportlerlehre gab, fand er einen Weg, den Spitzensport mit der Ausbildung zu kombinieren. 1995 begann er als 16-Jähriger eine Schreinerlehre. 1998, ein Jahr vor Lehrabschluss, wurde er in Bern erstmals Schwingerkönig. Und auch später blieb er dem dualen Weg treu. Auf den Lehrabschluss folgten Berufsmatura und die Weiterbildung zum eidgenössisch diplomierten Schreinermeister, später dann der Einstieg bei der AAK/Holzmanufaktur. «Die meisten Schwinger bleiben berufstätig», stellt Jörg Abderhalden fest. Es ist ein Gebot der Vernunft, denn ein erfolgreicher Schwinger könnte heute zwar während einiger Jahre vom Sport leben. «Aber später wäre der Wiedereinstieg ins Berufsleben dafür umso schwieriger.»
«Als Schwinger habe ich gelernt, mit Druck umzugehen.»
Nebst Talent braucht es Fleiss
Morgens arbeiten und nachmittags trainieren, dazu Wettkämpfe und eine hohe Präsenz in den Medien und in der Öffentlichkeit. Dies alles unter einen Hut zu bringen, erfordert Disziplin, Fleiss und Hartnäckigkeit – Eigenschaften, die Jörg Abderhalden auszeichnen. Kein Wunder, schätzt er es, «wenn beim Schwingen jene gewinnen, die viel Aufwand betrieben haben». Auch für das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest in Zug im August wünscht er sich das. Zum Erfolg kann jeder Sportler viel beitragen, ist er überzeugt. Vorausgesetzt, man besitzt ein gewisses Grundtalent. «Am Schluss gewinnt derjenige, der das beste Gesamtpaket hat.» Bestehend aus: Technik, Kraft, mentaler Stärke und einem guten privaten wie auch beruflichen Umfeld.
Die Technik und die mentale Stärke waren Jörg Abderhaldens Trümpfe beim Schwingen. «Je mehr Schwünge du beherrschst, umso einfacher kannst du den Gegner ‹erwischen›», betont er. «Das war sicher meine Stärke; ich war unberechenbarer als andere.» Als technischer Leiter unterstützt er heute die St. Galler Aktivschwinger dabei, vielseitige Kombinationen zu erlernen und anzuwenden. «Heute sind die Schwinger tendenziell körperlich fitter, dafür wird die Technik manchmal etwas vernachlässigt», findet er.
«Du bist allein»
Auch mental gehörte Abderhalden zu den Stärksten seiner Zeit. Ein gesundes Selbstbewusstsein ist für ihn eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg im Schwingsport: «Beim Schwingen bist du allein, hast keine Mannschaft, die dir hilft.» Nie sei man einsamer als im Schlussgang des Eidgenössischen Schwingfests, wenn die Augen von 50'000 Zuschauern auf einen gerichtet seien. Zudem sei man im Wettkampf sehr nah am Gegner. «Du spürst seinen Puls, seine Spannung. Da passiert viel im Kopf.» Jörg Abderhalden hat zwar nie mit einem Mentaltrainer zusammengearbeitet, aber er setzte sich intensiv mit dem Thema auseinander. «Ich war immer überzeugt, dass ich es selbst schaffen muss, denn im Sägemehlring bin ich auch auf mich allein gestellt. Es geht darum, dass du deine Möglichkeiten ausschöpfst und alles für den Sieg tust, was du kannst. Das habe ich bis zum Gehtnichtmehr getan», erzählt er. Die Momente voller Anspannung und Nervosität vor den Wettkämpfen haben auch einen Teil der Faszination ausgemacht, die der Sport auf ihn ausübte.
«Man soll Traditionen pflegen, aber nicht stur damit umgehen.»
Wertvolle Erfahrungen fürs Leben
2010 trat Jörg Abderhalden vom Schwingsport zurück. «Ich habe 23 Jahre lang geschwungen. Wenn es den richtigen Zeitpunkt zum Beenden einer sportlichen Karriere gibt, dann habe ich den, glaube ich, erwischt», blickt er zurück. Heute dominiert das Schwingen sein Leben nicht mehr. Von den Erfahrungen aus seiner Aktivzeit profitiert der Schreinermeister und Unternehmer aber immer noch. «Ich habe gelernt, mit Druck umzugehen, und konnte dadurch eine gewisse Gelassenheit entwickeln. Ich weiss, wie ich reagieren muss, wenn etwas nicht ganz rund läuft.» Sich auf die Stärken konzentrieren und Prioritäten setzen zum Beispiel. Das sei im Geschäft ähnlich wie im Sport. Auch seine Teamfähigkeit führt er auf seine Sportlerkarriere zurück. «In meiner Schwingerzeit konnte ich eine gute Menschenkenntnis entwickeln», so sein Fazit.
Und nicht zuletzt nützt ihm seine Bekanntheit auch geschäftlich. «Vor allem der erste Kundenkontakt ist manchmal einfacher. Danach müssen wir eine gute Arbeit abliefern wie alle unsere Mitbewerber auch», sagt er mit einem Schmunzeln. Die Spezialität der AAK/Holzmanufaktur sind Innenausbauten in Möbelqualität – Küchen, Einbauten, Türen, Böden, Spezialausbauten. Jeder Auftrag ist willkommen, aber besonders schätzt Jörg Abderhalden komplexe Aufträge, die seine Mitarbeitenden herausfordern. Wie zum Beispiel der Auftrag, den sein Betrieb 2018 für AstraZeneca im Geschäftshaus Quadrolith der Alfred Müller AG in Baar ausgeführt hat: «Für AstraZeneca durften wir eine grosse sowie mehrere kleine Küchen und Theken, Türen sowie Verkleidungen mit Rundungen und Glaseinbauten realisieren. Das war sehr spannend.»
«Das Neue gehört in die Welt»
Und da ist noch die Offenheit für Neues, die Jörg Abderhalden als Sportler, Unternehmer und auch als Privatperson auszeichnet. Zwar schätzt der Toggenburger Traditionen: «Ich finde es wichtig, dass man sie pflegt, aber man soll nicht stur damit umgehen», findet er. «Mich hat stets die Mischung aus Tradition und Moderne fasziniert. Ich habe zwar einen traditionellen Sport ausgeübt, aber auf moderne Art und Weise.» Als einer der ersten Schwinger setzte er auf professionelle Trainingsmethoden. «Das Neue gehört in diese Welt», so seine klare Meinung. Sei es im Sport, in der Musik oder bei der Arbeit. Bei der AAK/Holzmanufaktur werden die Schreiner von einem modernen Maschinenpark in ihrem Handwerk unterstützt.
«Meine Familie ist mein grösster Gewinn.»
Auch in seiner Ehe folgt er modernen Grundsätzen. Seine Partnerin Andrea ist für ihn eine wichtige Sparringspartnerin – in seiner Schwingerkarriere hat sie ihm während vieler Jahre den Rücken freigehalten, hat Termine koordiniert, Anlässe organisiert, den Haushalt gemanagt und die drei Kinder betreut. Heute ist Andrea Abderhalden-Hämmerli unter anderem Gemeinderätin in Nesslau, dem Wohnort der Familie. Jörg Abderhalden unterstützt sie nach Möglichkeit, zum Beispiel, indem er die beiden Töchter Lynn und Jill und Sohn Terry betreut. «Unsere Beziehung funktioniert einfach, auch nach 20 Jahren», sagt er mit einem Strahlen im Gesicht. Die Familie ist heute neben der Holzmanufaktur sein Lebensmittelpunkt. Man glaubt ihm aufs Wort, wenn er sagt: «Wir sind eine glückliche Familie. Meine Frau und meine Kinder sind mein grösster Gewinn.»
Steckbrief
Der Schwinger Jörg Abderhalden
Der 1979 geborene St. Galler Jörg Abderhalden ist einer der erfolgreichsten Schwinger der Schweiz. Sein Debüt gab er 1995 am St. Galler Kantonalschwingfest. Dies war der Anfang einer Erfolgsgeschichte. Am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest 1998 in Bern wurde Jörg Abderhalden erstmals Schwingerkönig. Ein Erfolg, den er 2004 in Luzern und 2007 in Aarau wiederholte.
Er holt den «Schwinger-Grand-Slam»
Als bisher einziger Schwingerkönig gewann Jörg Abderhalden zudem 1999 den Unspunnen-Schwinget und 2002 den Kilchberger Schwinget. Dieser Erfolg wird auch als «Schwinger-Grand-Slam» bezeichnet. 2007 wurde Abderhalden in der Fernsehshow «SwissAward – Die Millionengala» zum Schweizer des Jahres gewählt.
Bis zu seinem Rücktritt im August 2010 gewann Jörg Abderhalden unter anderem 85 Kränze, davon 5 eidgenössische Kränze, 51 Kantonalkränze, 14 Bergkränze und 15 Teilverbandskränze.
Schreinermeister, Moderator und Schiedsrichter
Heute steht die AAK/Holzmanufaktur im Zentrum von Jörg Abderhaldens Berufsleben. Durch verschiedene Tätigkeiten bleibt der Schreinermeister mit Berufsmatura mit dem Schwingen verbunden: Für den St. Galler Kantonalen Schwingerverband wirkt er als technischer Leiter und Vertreter, wenn es um die Wettkampfeinteilungen geht, im Schweizer Fernsehen als Co-Moderator bei Direktübertragungen und bei Streaming-Übertragungen. Seit 2018 ist Jörg Abderhalden zudem Schiedsrichter bei der Sendung «Samschtig-Jass» im Schweizer Fernsehen. «Ich bin mit dem Jassen gross geworden. Ich habe mit meinen Eltern gejasst und jasse heute auch mit meinen Kindern», erklärt er.
ESAF 2019 Zug:
«Orlik und Giger sind die Fittesten»
Jörg Abderhalden freut sich auf das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest in Zug: «Die Innerschweizer sind sehr schwingbegeistert. Ich habe keine Angst, dass es kein gutes Schwingfest gibt», sagt er. «Wer wird neuer Schwingerkönig?
Wagen Sie eine Prognose?», möchten wir von ihm wissen. «Wenn ich das wüsste!», antwortet er lachend. Aber dann, etwas ernster, meint er, die Zahl der Schwinger, die in Frage kämen, sei begrenzt. «Armon Orlik und Samuel Giger sind die Fittesten.» Weitere Anwärter sind für ihn Joel Wicki und Pirmin Reichmuth.
Ein Sport für Hirten und Älpler
Schwingen ist heute Nationalsport und sehr beliebt. Die letzte Ausgabe des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes (ESAF) war ein wahrer Publikumsmagnet. Das Fest zog 2016 rund 280’000 Besucher nach Estavayer.
Die Zahlen sind beeindruckend: Am ESAF in Estavayer flossen 240’000 Liter Bier sowie 200’000 Liter Wasser – und 60’000 Bratwürste wurden grilliert. Auch am ESAF in Zug, das vom 23. bis 25. August 2019 stattfindet, wird ein ähnlich grosser Publikumsaufmarsch erwartet. Doch Schwingfeste waren nicht immer solche Grossanlässe. Ursprünglich war das Schwingen ein Spiel zur Unterhaltung der Hirten, Älpler und Bauern bei Festen in Alp- und Wirtshäusern. Und das schon früh: Eine erste Darstellung stammt aus dem 13. Jahrhundert. Aufwind erhielt das Schwingen 1805 beim Alphirtenfest zu Unspunnen. Das Fest fand zu einer Zeit statt, als die Schweiz unter französischer Fremdherrschaft litt. Ziel des Anlasses war die Stärkung des schweizerischen Nationalbewusstseins. Als Preise winkten damals ein Stück Hosentuch, ein Schaf oder andere Naturalien. Doch der Preis war Nebensache, die Ehre die Hauptsache. Das hat sich nicht geändert. Die Schwinger erhalten bis heute kein Preisgeld, sondern werden mit einem Kranz ausgezeichnet und können sich etwas vom Gabentisch aussuchen. Für den Schwingerkönig gibt es meist einen Muni – oder den Geldwert dafür.
Quellen: SRF, Schweiz Tourismus