«Ich kann jeden Tag gestalten, wie ich möchte»
Michael Hörnlimann reist seit rund zwei Jahren um den Globus. Als digitaler Nomade arbeitet er ortsunabhängig und kann die Arbeit mit seiner Leidenschaft, dem Reisen, verbinden. Diesen Sommer hat er uns in einem Interview von seinem ungewöhnlichen Leben erzählt. (Das Interview wurde im Sommer 2019 schriftlich geführt.)
Michael, wo bist du gerade – vielleicht auf den Bahamas?
Nein, weit gefehlt. Ich bin zurzeit in La Punt Chamues-ch im Oberengadin. Dies seit dem 1. Juli und noch bis Ende Monat, also genau 31 Tage. Ich habe diese Destination gewählt, weil ich hier ein tolles Airbnb gefunden habe und die Natur im Engadin aus meiner Kindheit sehr gut kenne.
Seit April 2018 lebst du deinen Traum und kombinierst das Reisen mit dem Arbeiten. Wie hat das alles angefangen hat?
Im Sommer 2016 bin ich auf Social Media auf den Event «6 Jahre Weltreisen – die geilste Lücke im Lebenslauf» aufmerksam geworden. Dies hat mich sofort gepackt, ich habe mir ein Ticket gekauft und den Anlass des Deutschen Nick Martin im Zürcher Volkshaus besucht. Er erzählte rund drei Stunden lang von seinen Reisen, seinen Erfahrungen und von seinen Erlebnissen. Dabei war auch die Arbeit unterwegs ein Thema.
Dies hat bei mir den ersten Schritt ausgelöst, so dass ich mich in der Folge tiefgründiger mit dem Thema befasst habe.
Hast du noch eine fixe Adresse?
Ja, in Kloten bei meinen Eltern. Ich bin ab und zu da, um sie zu besuchen. Meine Einzelfirma ist dort registriert.
Was gefällt dir besonders am digitalen Nomadentum?
Die Freiheit. Ich kann praktisch jeden Tag so gestalten, wie ich möchte, und entscheiden, wann, wo und wie ich arbeite. Dies erfordert gleichzeitig natürlich auch sehr viel Disziplin, denn schliesslich gibt es auch bei mir ohne Fleiss keinen Preis.
Welches sind die grössten Nachteile dieses Lebensstils?
Für mich ist dies eindeutig die Einsamkeit. Ich erlebe oft, dass Fremde oder Freunde, denen ich zum ersten Mal von meinem Leben erzähle, mit «Oh, mega cool!» oder «Das will ich auch!» reagieren. Dabei denke ich, dass dieser Lebensstil lange nicht für jede und jeden geeignet ist und auch mit gewissen Einschränkungen bzw. mit Verzicht verbunden ist.
Ich bin meist allein unterwegs, was schon teilweise etwas einsam sein kann. Wenn ich zu Hause bin, versuche ich, meine Schweizer Freunde zu treffen. Seit meinem Wechsel zum jetzigen Lebensstil habe ich aber nur noch Kontakt zu richtig guten Freunden. Vielen anderen ist dies zu aufwendig oder sie können nicht nachvollziehen, weshalb ich so lebe und nicht einfach jeden Tag ins Büro gehe. Auf meinen Reisen habe ich bisher drei gute Freunde gefunden, mit denen ich auch regelmässig Kontakt habe: eine Schweizerin, eine Österreicherin und ein Holländer.
«Ich bin meist allein unterwegs, was schon teilweise etwas einsam sein kann.»
Mit wie viel Gepäck reist du denn?
Ich versuche einfach, so viel wie nötig und so wenig wie möglich mitzunehmen, so dass ich möglichst «leicht» reisen kann. Ich reise praktisch immer mit Rucksack sowie einer Tasche, welche sich gut verstauen lässt.
Auf welche Gegenstände möchtest du unterwegs nicht verzichten?
Was mir logischerweise sehr wichtig ist, ist mein Laptop inklusive Ladekabel. Zudem habe ich auch stets meinen Laptopständer dabei, um ergonomischer arbeiten zu können.
Wie müssen wir uns deine Arbeit vorstellen? Arbeitest du vom Strand aus, mit einem Cocktail in der Hand …?
Das ist meist ziemlich unspektakulär. Ich habe beispielsweise noch nie direkt am Strand gearbeitet. Stell dir mal vor: Dort könnte ich den Laptop lediglich auf meinen Oberschenkeln haben und müsste dann so arbeiten. Das würde ich vermutlich nicht lange aushalten. Zudem ist Sand für keinen Laptop förderlich. Dazu kommt, dass die Lichtverhältnisse für die Arbeit am Laptop draussen meist nicht optimal sind.
Wie akquirierst du Aufträge?
Da haben sich über das letzte Jahr zwei Optionen manifestiert: Zum einen empfehlen mich zufriedene Kundinnen und Kunden weiter. Zum anderen finden mich Kunden auch direkt über Google, was ich mit der Suchmaschinenoptimierung (SEO) selbst ja auch anbiete.
Akzeptieren deine Kunden deine Arbeitsweise?
Ja, damit habe ich bisher mit einer Ausnahme nur gute Erfahrungen gemacht. Ich stelle aber beispielsweise auf meiner Website klar, dass ich nur schriftlich und nicht per Telefon erreichbar bin.
Wie stellst du die Kommunikation mit Kunden sicher?
Das ist im Prinzip simpel. Wir kommunizieren vorwiegend über E-Mails, für welche ich eine verschlüsselte Schweizer Lösung verwende. Sollte im Verlauf des Projekts ein virtuelles Treffen notwendig sein, nutze ich ein Tool zur Videokonferenz, welches sehr einfach in der Bedienung ist und eine physische Anwesenheit aller Beteiligten überflüssig macht.
Wie viele Stunden arbeitest du pro Woche ungefähr?
Die Anzahl Stunden variiert stark, je nach Auftragsvolumen. Ich arbeite aber praktisch immer weniger als 40 Stunden pro Woche, da ich auch um einiges effizienter bin als im Angestelltenverhältnis. Dies, da keine Anwesenheitspflicht mehr besteht und ich eine gewisse Zeit arbeiten muss, weil dies jemand so verlangt.
Du hast vorhin gesagt, dass dieser Lebensstil auch viel Disziplin braucht. Fällt es dir nicht schwer, in einer «Ferienumgebung» zu arbeiten?
Nein, ich behaupte jetzt einfach mal, dass ich ziemlich gut einschätzen kann, wann ich für einen Tag genug geleistet habe und ich die Dinge erledigen konnte, die ich geplant hatte. Morgens habe ich meist sehr viel Motivation für die Arbeit am Laptop, weil ich weiss, dass ich am Nachmittag dann raus in die Natur kann. Statt zwei oder drei Wochen am Stück Ferien zu machen, wie das viele tun, mache ich eher jeden Tag «Miniferien».
Wie sieht dein Leben von der finanziellen Seite her aus?
Ich bin zufrieden mit meiner finanziellen Situation und kann gut vom Webdesign leben. Sparen kann ich aktuell noch nicht, habe aber meine 2. Säule aufgelöst und führe eine Säule 3a.
Wie und wo wohnst du?
Meist wohne ich entweder in einem Coliving oder in einem Airbnb, wenn ich länger (sprich mindestens vier Wochen) an einem Ort verbringe. Es ist auch mein Ziel, langsam zu reisen und den «Spirit» des Ortes erleben zu können.
Bei einem Coliving handelt es sich übrigens um eine Art Wohngemeinschaft, welche meist sehr international ist. Dabei arbeiten alle ortsunabhängig, und man teilt sich einen Kühlschrank, Küche und Waschmaschine.
«Meist wohne ich entweder in einem Coliving oder in einem Airbnb, wenn ich länger (sprich mindestens vier Wochen) an einem Ort verbringe.»
Bei den Unterkünften achte ich immer auf die Verfügbarkeit von WLAN, die Lage, Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe sowie die Möglichkeit, selber kochen zu können.
Ist für dich das Wohnen wichtig, und gibt es Gegenstände, die du in den Unterkünften nicht missen möchtest?
Das Wohnen hat für mich einen sehr hohen Stellenwert. Als wichtige Gegenstände in meiner temporären Bleibe würde ich eine Salatschleuder sowie eine Raffel bezeichnen, weil dies beides praktische Helferlein sind.
Du bist seit Oktober 2017 als digitaler Nomade unterwegs – ist die Faszination ungebrochen oder gibt es Ermüdungserscheinungen?
Ich bin nach wie vor fasziniert davon und dankbar, dass ich so arbeiten kann. Zudem lerne ich immer wieder neue Dinge, es wird nie langweilig.
Wohin geht es als Nächstes?
In die Bundeshauptstadt – nach Bern.
Wie lange willst du so leben? Machst du dir Gedanken über ein Leben danach?
Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Das Leben danach hängt stark davon ab, was in nächster Zeit in meinem Leben geschehen wird und wen ich treffe. Ich mache mir Gedanken darüber, wenn es so weit ist.
Würdest du sagen, dass dich das Nomadenleben verändert hat?
Ja, ich bin viel offener geworden und es hat, wie man so schön sagt, meinen Horizont enorm erweitert.
Wem würdest du diese Lebensweise empfehlen?
Menschen, die mal was Neues ausprobieren möchten und aus dem Hamsterrad rausmöchten. Sollte es dann nicht passen, kann man schnell wieder zurück in die gewohnte Umgebung. Verlieren kann man aber aus meiner Sicht nichts.