Das Reglement - die zehn Gebote des Stockwerkeigentums
Das Leben in den eigenen vier Wänden ist für immer mehr Menschen die perfekte Wohnlösung. Doch wer in der Gemeinschaft lebt, muss sich auch an Regeln
halten und Mehrheitsentscheide akzeptieren.
Der Traum vom eigenen Einfamilienhaus mit Umschwung platzt für viele Schweizerinnen und Schweizer bereits nach einem flüchtigen Blick auf die Ersparnisse. Umso attraktiver erscheint da die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen in den Besitz einer Liegenschaft zu kommen. Alleine in den letzten zwei Jahrzehnten ist die Zahl der selbstbewohnten Eigentumswohnungen um fast 50 Prozent gestiegen. «Heute werden schweizweit rund 400'000 Wohnungen von Stockwerkeigentümern als Erstwohnungen genutzt», weiss Michel de Roche, Präsident der Fachkammer Stockwerkeigentum des Schweizerischen Verbands der Immobilienwirtschaft (SVIT). «Zählt man alle Ferienwohnungen und vermieteten Erstwohnungen hinzu, sind es sogar rund eine Million Stockwerkeinheiten.»
«Heute werden schweizweit rund 400'000 Wohnungen von Stockwerkeigentümern als Erstwohnungen genutzt.»
Kaufen ist zurzeit günstiger als mieten
Die Alfred Müller AG verkauft jährlich 50 bis 100 Eigentumswohnungen, vorab im mittleren Preissegment. «Im derzeitigen Zinsumfeld rechnet sich Stockwerkeigentum gegenüber einer Mietwohnung rasch einmal», sagt Andreas Büchler, Abteilungsleiter Immobilien und Promotion. Bei einer 4.5-Zimmer-Wohnung können sich die Einsparungen auf mehrere hundert Franken monatlich belaufen.
Ein guter Rechner ist auch der Zürcher Franz A. Kurz vor der Jahrtausendwende haben er und seine Partnerin in Zürich-West eine 120 Quadratmeter grosse 3-Zimmer-Wohnung erworben. 750'000 Franken mussten die beiden damals hinblättern. Heute beläuft sich der Wohnungswert schätzungsweise auf 1,7 Millionen Franken, weit mehr als das Doppelte also! «Für uns ist das Stockwerkeigentum deshalb Lebensraum und Altersvorsorge in einem», sagt der 53-Jährige, «wir haben sozusagen den Joker gezogen.»
Individualität kontra Gemeinschaft
Natürlich will der überzeugte Stockwerkeigentümer die Tücken nicht verschweigen, die das Zusammenleben Tür an Tür mit anderen Mitbesitzern mit sich bringen kann. «Wir sind alles Menschen mit individuellen Bedürfnissen. Logisch, setzt es da hin und wieder Diskussionen ab.» Ein Statement, das Dominik Romang unterschreiben kann. Romang ist seit vielen Jahren Präsident des Schweizer Stockwerkeigentümerverbandes und kennt die Sorgen und Nöte seiner Verbandsmitglieder nur zu gut. «Sagen wir es mal so: Wer sich nicht an die Regeln halten und Mehrheitsentscheide akzeptieren kann, der ist für ein Leben in der Eigentumswohnung nicht geeignet.»
Regeln und Reglement
Bei all der Freiheit, die das Stockwerkeigentum seinem Besitzer beschert – der persönlichen Entfaltung sind gewisse Grenzen gesetzt. Dies gilt innerhalb der Liegenschaft, mitunter aber auch in den eigenen vier Wänden. Was erlaubt ist und was nicht, darüber gibt das Stockwerkeigentums-Reglement Aufschluss.
Es umschreibt die Rechtsstellung des einzelnen Stockwerkeigentümers und ist für die Eigentümergemeinschaft in etwa das, was für die Christenheit die zehn Gebote sind. Romangs Tipp: das Reglement detailliert und präzise formulieren. «Es soll klare Antworten liefern, damit es nicht selber zur Ursache von Meinungsverschiedenheiten wird.»
Mathias Birrer, Rechtsanwalt und Autor des in der Beobachter-Edition erschienenen Buches «Stockwerkeigentum», rät denn auch zur intensiven Lektüre des Reglements. «Natürlich, am Anfang ist man euphorisch, denkt, das kommt schon gut, und legt die Unterlagen beiseite.» Das sei aber ein fataler Fehler, denn: «Bei einem Streit unter Stockwerkeigentümern kann die Sachlage schnell kompliziert werden. Wer in solch einer Situation seine Rechte kennt, ist sicher im Vorteil.» Und noch ein Tipp: Eine gesunde Distanz zu den Nachbarn kann bei aller Freundschaft nicht schaden …
Am Anfang jedes Zwists steht meist mangelnde Informiertheit, welche einen Verstoss gegen das Reglement nach sich zieht. «Jemand installiert einen Windfang auf dem Balkon, der Wohnungsbesitzer aus dem Parterre will nichts mehr an den Unterhalt des Lifts bezahlen – das sind absolute Klassiker, wenn es um Streitigkeiten unter Stockwerkeigentümern geht», sagt Thomas Treichler, Abteilungsleiter Rechtsdienst bei der Alfred Müller AG.
«Eine gute Verwaltung verfügt über viel Erfahrung, einen ausgesprochenen Weitblick und beste Referenzen.»
Zentrale Rolle: die Verwaltung
Seine Erfahrungen mit Nachbarn, die sich nicht an die Regeln halten, hat auch Franz A. schon gemacht. Nichtsdestotrotz schätzt er das Dasein in der Stockwerkeigentümerschaft. «Probleme gibts auch in Mietshäusern und unter Einfamilienhausbesitzern. Man muss halt miteinander reden.» Was dem Zürcher immer wieder auffällt: «Die Mehrheit zieht am selben Strick, Querschläger sind meist Einzelfälle.»
Wenn es um den Hausfrieden geht, spielt die Verwaltung eine wichtige Rolle. Sie bildet die Schnittstelle zwischen Auftraggebern und Dienstleistungsempfängern – was in beiden Fällen die Stockwerkeigentümer sind. Keine einfache Aufgabe, wie Michel de Roche weiss. «Die Verwaltung ist nur der gesamten Stockwerkeigentümergemeinschaft verpflichtet, nicht aber dem einzelnen Eigentümer; das wird manchmal verwechselt.» Auch hier gelte: Klare Regeln sorgten für klare Verhältnisse. «Eine gute Verwaltung verfügt über viel Erfahrung, einen ausgesprochenen Weitblick und beste Referenzen. Sie sollte von den Erstellern so früh wie möglich in ein Projekt einbezogen werden.» Wenn Stockwerkeigentümer bei der Wahl der Verwaltung alleine auf den Preis achteten, könne sich dies rasch als Bumerang erweisen, so de Roche.
Eine seriöse Verwaltung, ein klar formuliertes Reglement, die Äufnung eines Erneuerungsfonds und den anständigen Umgang untereinander vorausgesetzt – für Dominik Romang ist klar: «In Zeiten wie diesen, in denen Ballungszentren an Volumen zulegen und Wohnraum immer knapper wird, ist Stockwerkeigentum für viele Singles, Ehepaare, aber auch Familien mit Kindern die perfekte Form des Wohnens.»