Darf man das, Herr Rechtsanwalt?
Unliebsame Geräusche, störende Gerüche oder ein verstelltes Treppenhaus: Laut einer Studie von comparis.ch fühlen sich rund 64 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer von ihren Nachbarn gestört. Ist der Ärger begründet? Wir haben bei Thomas Treichler, dem Leiter Rechtsdienst bei der Alfred Müller AG, nachgefragt.
Ob Musik zu später Stunde, Kinder, die durch die Wohnung nebenan oder darüber toben, oder Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück. Lärm ist einer der Hauptgründe, weswegen sich viele Nachbarn in die Haare geraten. Aber auch intensive Gerüche wie Grill- oder störender Zigarettenrauch, der durch Fenster- und Türöffnungen dringt, können zu roten Köpfen führen. Nicht zu vergessen der Waschplan, der nicht eingehalten wird. Dabei gäbe es sie doch: Regeln, die ein gutes Neben- und Miteinander sicherstellen sollen.
Im Gesetz verankert
Artikel 684 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) besagt, dass jeder dazu verpflichtet ist, «bei der Ausübung seines Eigentums sich aller übermässigen Einwirkungen auf das Eigentum des Nachbarn zu enthalten». Verboten sind demnach Tätigkeiten, die zu nicht gerechtfertigten Immissionen auf dem Nachbargrundstück führen. Zu Immissionen wie Lärm oder Gerüchen zählen auch Zustände oder Handlungen, die das seelische Empfinden verletzen – wie beispielsweise das Führen eines Rotlicht-Etablissements in einem Wohnhaus.
«Wann eine Einwirkung übermässig oder ungerechtfertigt ist, hängt im Wesentlichen von der Lage des Grundstücks ab», erklärt Thomas Treichler, Leiter Rechtsdienst bei der Alfred Müller AG. «Was in einem Industriegebiet allenfalls erlaubt ist, kann in einer reinen Wohnzone unter Umständen als übermässig eingestuft werden.» So gelten in einer Landwirtschaftszone bezüglich Hühnergegacker oder Geruchsemissionen aus einem Schweinestall denn auch andere Kriterien als in einem Villengebiet. Je nach Fall ist eine objektive Beurteilung aufgrund aller Umstände vorzunehmen. Rein subjektive Befindlichkeiten gelten nicht.
Zuständigkeiten, Anlaufstellen, Vermittler
Welche Regeln für Bewohnerinnen und Bewohner gelten, ist immer abhängig von der Liegenschaft. Das Hinweisen von Mietparteien auf die geltenden Regeln ist grundsätzlich Aufgabe der Verwaltung. Sie ist es auch, die bei einem Verstoss zur Einhaltung der Hausregeln auffordern und wo nötig zwischen Streitparteien vermitteln kann. Mieter einer Stockwerkeigentumsliegenschaft mit unterschiedlichen Eigentümern können gegen einen Nachbarn, der sein Eigentumsrecht überschreitet, mit den Rechtsbehelfen des Nachbarrechts vorgehen. Zusätzlich kann beim Vermieter eine Verletzung des Mietvertrags geltend gemacht werden.
Für ein gutes Neben- und Miteinander
Um in Erinnerung zu rufen, was wir als gute Nachbarn dürfen und was wir unbedingt unterlassen sollten, damit das Zuhause wieder zur ganz persönlichen Wohlfühloase wird, meint Thomas Treichler zusammenfassend: «Die Grundlage für ein gutes Nebeneinander sind Rücksicht und Toleranz. Vermeiden Sie das, was Sie selber stören würde.» Was das konkret heisst, zeigen nachfolgend drei Beispiele aus der Praxis.
PARTIZIPATION
Sind Wartungskosten für den Lift von Stockwerkeigentümern mitzutragen, die im Parterre wohnen?
Die Verteilung der Nebenkosten in der Stockwerkeigentumsgemeinschaft hat bis zu einem gewissen Grad schematisch zu erfolgen. Dies bedeutet, dass nicht jeder Kostenfaktor darauf abgestellt werden kann, wer welche Einrichtungen in welchem Mass benützt oder eben nicht benützt. Eine zu 100 Prozent verursachergerechte Regelung lässt sich nicht bewerkstelligen und wäre schlicht nicht praktikabel. So ist es üblich, dass auch die Eigentümerinnen und Eigentümer von Parterrewohnungen an den Wartungskosten für den Lift partizipieren. Zum einen benützen sie ja vielleicht den Lift auch, um in den Keller oder die Tiefgarage zu gelangen. Wollte man das Verursacherprinzip konsequent durchsetzen, könnte ein Wohnungseigentümer in der 1. Etage geltend machen, er benütze aus Gründen der Fitness ausschliesslich die Treppe und wolle aus diesem Grund von einer Kostenbeteiligung am Lift entbunden werden.
VORSCHRIFTEN
Darf man eine Hecke pflanzen oder einen Sichtschutz errichten?
Grundsätzlich darf man das als Grundstückbesitzer. Es gibt aber Vorschriften über den einzuhaltenden Mindestabstand von der Grenze und die Maximalhöhe der Hecke oder des Sichtschutzes, die von Kanton zu Kanton unterschiedlich sind. Die entsprechenden Regelungen finden sich zumeist in den kantonalen Einführungsgesetzen zum ZGB. Im Stockwerkeigentum enthält unter Umständen die Stockwerkeigentumsbegründung und/oder das Reglement zusätzliche Vorschriften oder Einschränkungen.
VERBOTE
Ist ein Grill auf dem Balkon erlaubt?
Grillieren auf dem Balkon ist nicht grundsätzlich verboten. Es gilt der allgemeine Grundsatz der möglichst schonenden Ausübung und der Minimierung von Immissionen wie Rauch oder Geruch, indem man zum Beispiel einen Gas- statt einen Holzkohlegrill und einen Blasebalg statt chemische Anzündhilfen verwendet. Es geht um eine Interessenabwägung zwischen dem eigenen Handeln und den Bedürfnissen des Nachbarn im konkreten Einzelfall, wobei es auch eine Rolle spielt, ob man täglich grilliert oder nur gelegentlich.