Auch Innovation braucht Tradition
Das Dietiker Unternehmen Optotune, das 2008 als Startup der ETH Zürich gegründet wurde, hat sich in der adaptiven Optik einen Namen gemacht. Innert kurzer Zeit hat es sich zu einem der weltweit führenden Firmen im Bereich flexibler optischer Komponenten entwickelt. Dr. Manuel Aschwanden, CEO und Mitbegründer, erklärt, wie Innovation entsteht und weshalb auch traditionelle Werte für ein internationaltätiges Schweizer Unternehmen wichtig sind.
Was 2008 als ETH-Spin-off mit einem Team von drei Leuten begann, fand seine spannende Fortsetzung in Dietikon, in einem Geschäftshaus der Alfred Müller AG. Heute arbeiten über 110 Mitarbeitende am Hauptstandort – und es werden laufend mehr. Das Unternehmen, das im Medizin-, Industrie- und Konsumgütermarkt optische Komponenten wie zum Beispiel variable Linsen entwickelt, ist höchst innovativ – und ebnet seinen Kunden mit den intelligenten Produkten ihrerseits den Weg zu Innovation. Denn die revolutionären Linsen finden Anwendung in neuartigen optischen Systemlösungen wie Laserscannern oder Kameras, die beispielsweise in selbstfahrenden Autos vorkommen.
Die Schweiz ist bekannt für ihre Innovationskraft und ihren Erfindergeist. Welche Innovation der letzten Zeit hat Sie am meisten beeindruckt?
Dr. Manuel Aschwanden: Der Laufschuh der Firma On begeistert mich. Den Co-Gründer David Allemann kenne ich persönlich. Ein positiver Mensch mit klaren Visionen, der mit seinen zwei Partnern und einer einfachen technischen Lösung, nämlich einer Sohle aus zerschnittenen Gartenschläuchen, den weltweiten Laufschuhmarkt von der Schweiz aus revolutioniert. Und das in einem Bereich, von dem ich dachte, er könne nicht mehr innoviert werden. Laufschuhe sind ja nicht gerade Mangelware.
Sind auch Sie ein positiver Mensch mit klaren Visionen?
Ich hoffe schon. Meine Stärke ist es, Lücken zu erkennen, indem ich dank einem guten technischen Verständnis sehe, was möglich ist. Ich muss oft komplexe Aufgaben lösen. Das gelingt nur mit einer positiven Einstellung.
Ihre Firma Optotune zählt zu den zehn innovativsten Startups der Schweiz, 2014 wurde sie am Swiss Economic Forum zum Jungunternehmen des Jahres gewählt. Was macht den Erfolg des Unternehmens aus?
Wir haben unseren Kunden immer zugehört. Meine langfristige Vision ist es, eine solch gute Reputation aufzubauen, dass Kunden, die auf der Systemebene ein Problem haben und eine clevere optische Komponente benötigen, an uns denken und uns mit der Entwicklung beauftragen. Denn genau so entsteht meiner Meinung nach Innovation: wenn unsere Verkaufsingenieure beim Kunden von einem Problem erfahren und die Idee zur Lösung austüfteln. Als ETH-Spin-off hatten wir eine Technologie. Wir mussten aber rasch erkennen, dass man nur ein Produkt, nicht aber eine Technologie verkaufen kann. Man muss die Lücke erkennen und darf sich nicht scheuen, sie auch zu füllen. Wenn man dann noch mit cleverem Design und Qualität überzeugt, kommt auch der Erfolg. Das geht aber nur schrittweise.
Worauf sind Sie besonders stolz?
Ich glaube, wir haben eines der besten Engineering- und Produktionsteams. Die Tatsache, dass viele unserer Kunden immer wieder mit neuen Aufträgen und Herausforderungen an uns gelangen, bestätigt das. Wir haben es geschafft, ein Team zu formen, das stolz ist auf das, was es macht. Alle haben Drive und sind als Unternehmer tätig. Wir fördern das gezielt. Ich will nicht, dass wir zu einem Konzern heranwachsen, bei dem alles von oben vorgegeben wird. Ich will den Pioniergeist vom Anfang aufrechterhalten. Es ist faszinierend zu sehen, wie viele neue Ideen wir auch nach zehn Jahren noch haben und wie sie uns neue Märkte eröffnen.
Optotune wurde 2008 inmitten der Finanzkrise gegründet. Brauchte es eine Extraportion Mut, in einem solch schwierigen Umfeld mit einem Startup auf den Markt zu gehen?
Nein, es war keine schlechte Ausgangslage. Viele gute Ingenieure haben einen Job gesucht. Ausserdem haben wir ein paar Jahre gebraucht, bis wir das Produkt hatten. Und wir wussten: Nach einer Krise kommt irgendwann der Aufschwung. Wir haben uns also nicht in die Finanzkrise hinein gegründet, sondern in den nächsten Aufschwung. Wir hatten Glück, dass wir einen guten Businessplan hatten und einige Wettbewerbe gewinnen konnten.
«Es ist faszinierend zu sehen, wie viele neue Ideen wir auch nach zehn Jahren noch haben und wie sie uns neue Märkte eröffnen.»
Sehen Sie Optotune nach zehn Jahren auf dem Markt noch als Startup?
Wir machen zu viel Umsatz für ein Startup. Ich bezeichne uns als Kleinunternehmen im Wachstum. Das Image eines Startups ist zu Beginn nützlich, wenn man Leute mit einem bestimmten Mindset rekrutieren will. Sobald man mit Grossfirmen zusammenarbeitet, sollte man dieses Image ablegen. Das galt auch für uns. Wir liefern oft Komponenten in Systeme, mit welchen unsere Kunden Hunderte Millionen Franken Umsatz generieren. Wenn wir nicht mehr existieren, rüttelt das auch an ihrer Existenz. Die Herausforderung, ihr Vertrauen zu gewinnen, mussten wir Schritt für Schritt meistern. Heute vertrauen uns bedeutende Kunden – und erzählen es auch weiter. In der sehr kleinen weltweiten Optikindustrie ist das ein immenser Vorteil für uns.
Wie nutzen Sie die Fläche genau?
Etwa die Hälfte als normale Bürofläche mit Sitzungszimmern, ein Drittel für Produktion und Lager, den Rest für die Entwicklungsumgebung. Aber es wird bereits wieder eng. Wir haben in Frauenfeld einen zweiten Standort mit einer Fläche von rund 3000 Quadratmetern gemietet. Wir wachsen extrem stark, und die Frage, wie wir mit dem Platz umgehen, ist eine grosse Herausforderung. Wir sind sehr glücklich, mit der Alfred Müller AG eine flexible Partnerin zu haben, die es uns ermöglicht, die Räume so zu gestalten, wie wir es möchten.
Gemäss einer Studie der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften investieren immer weniger Schweizer Industriefirmen in Forschung und Entwicklung. Wie wirkt sich diese Tendenz auf die Innovationskraft eines Landes aus?
Das ist ein massives Risiko. Das sehen wir, wenn wir Amerika mit China vergleichen. Vor zehn Jahren haben nur die Amerikaner wirklich Innovation betrieben. Seit vier, fünf Jahren kommen plötzlich chinesische Firmen mit Ideen daher, von denen wir noch nie etwas gehört haben. Der Grund? China hatte billige Arbeitskräfte für die Produktion. Doch dann haben sie Prozessingenieure benötigt, sind auf die Idee gekommen, Produkte mitzuentwickeln, haben investiert und Schritt für Schritt die Innovation vorangetrieben. In Amerika ist genau das Gegenteil passiert. Die Produktion ist verschwunden, das Prozess-Know-how ging verloren. Heute geschieht die richtige Innovation im Optikbereich auf Hardware-Komponenten nicht mehr in Amerika. Das Wissen ist weg. Wenn man nicht mehr weiss, wie man etwas macht, verliert man ganze Industrien. Wir versuchen, Gegensteuer zu geben, indem wir in der Schweiz etwas kreieren und produzieren. Mit unserer Technologie.
«Wenn man nicht mehr weiss, wie man etwas macht, verliert man ganze Industrien.»
Welche traditionellen Werte prägen die Unternehmenskultur von Optotune?
Zuverlässigkeit und Qualität. Das sind wichtige traditionelle Werte für uns. Die Schweiz hat in Asien den Ruf, zuverlässig und in guter Qualität zu liefern. Diesem Ruf müssen wir gerecht werden. Denn auch wenn wir international unterwegs sind, identifizieren wir uns als Schweizer Firma. Es müsste sehr viel passieren, damit ich zustimmen würde, den Hauptsitz ins Ausland zu verlegen.
Über Optotune
Optotune ist ein international tätiges Optik-Unternehmen mit Sitz in Dietikon, das im Medizin-, Industrie- und Konsumgütermarkt optische Komponenten entwickelt, produziert und verkauft. Es startete mit einem Team von drei Leuten. Heute arbeiten rund 60 Ingenieure der ETH und der EPFL und 50 weitere Mitarbeitende am Hauptstandort in Dietikon, wo einerseits Nischenprodukte, andererseits Grossauflagen in Millionenhöhe vollautomatisiert hergestellt werden. Für die Herstellung von Produkten mit mittlerer Stückzahl (ab 100 000) hat Optotune eine Niederlassung in der Slowakei eröffnet.