Nachbarschaftshilfe KISS – Zeit bleibt wertvoll

Tabea Zimmermann Gibson ist Präsidentin der KISS Genossenschaft Zug und setzt sich seit vielen Jahren für die lokale Nachbarschaftshilfe ein. Im Interview erzählt sie, wieso es solche Angebote braucht und wie jeder in unserer Gesellschaft davon profitiert.

Frau Zimmerman Gibson, was ist die Idee hinter KISS?

KISS ist begleitete Nachbarschafts­hilfe mit Zeit­gutschriften. KISS steht für «Keep it small and simple»: Eine überschaubare Gruppe von vertrauten Menschen (small) gibt und empfängt gegenseitig auf unbüro­kratische Art (simple) Unterstützung. Das Ziel ist, dass Menschen im Alter oder in schwierigen Lebens­situationen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können und durch Freiwillige gut betreut werden. Die Aufgaben von KISS grenzen sich klar von Pflegearbeit ab und liegen in der Begleitung und Betreuung. Das können verschiedene Haushalts- und Büro­arbeiten sein oder einfach gemeinsame Gespräche oder Spaziergänge. Daneben gibt es auch Gemein­schafts­aktivitäten wie Sprachtreffen, KISS Kafis und Mittagessen. Einsamkeit wird so stark vermindert.

 

Wie sind Sie dazu gekommen, bei KISS mitzumachen?

Ich habe das Inserat für eine Informationsveranstaltung von KISS gesehen, das mich sofort ansprach. Wie erwartet war die Veranstaltung dann auch sehr spannend, weil sie die ganze Breite von KISS aufzeigte. Als Susanna Fassbind, die Rednerin und eine der Gründerinnen von KISS, am Ende dieser Veranstaltung dazu aufrief, sich bei ihr zu melden, wenn man beim Aufbau einer KISS Genossenschaft in Zug mitmachen möchte, meldete ich mich spontan. So bin ich seit Beginn mit dabei und als Präsidentin sehr stolz auf meine Genossenschaft.

«Keep it small and simple»: Dafür steht KISS. Dabei geben und empfangen Menschen Unterstützung.

Wie engagieren Sie sich konkret?

Ich helfe beispielsweise einer älteren Genossenschafterin, die beim Einrichten ihres Tablets Hilfe braucht, oder erledige einen Trans­port­dienst für einen älteren Genossenschafter, der dies selber nicht mehr tun kann. Meine eigenen Einsätze sind aus zeitlichen Gründen eher sporadisch. Mein Haupteinsatz für KISS geschieht als Präsidentin vor allem hinter den Kulissen.

Wie sieht der Einsatz der Helfer normalerweise aus?

Viele Tandems – das sind Zweierteams, die sich helfen – laufen über eine Dauer von einem bis zwei Einsätzen. Wir haben aber auch eine Reihe von Tandems, die schon lange bestehen, teils sogar schon seit der Gründung unserer Genossen­schaft vor vier Jahren. Beispiels­weise gehen bei einem Tandem, wo das eine Mitglied leicht dement ist, die beiden ein- bis zweimal wöchentlich spazieren. Ein anderes Tandem­mitglied, das blind ist, wird von seiner Tandem­partnerin regelmässig abgeholt und zu ihr zum Mittagessen eingeladen. Aus vielen von diesen regel­mässigen Einsätzen entwickeln sich Freund­schaften und Aktivitäten, die unabhängig von KISS stattfinden.

Die Aufgaben von KISS umfassen Alltägliches: von Hilfe im Haushalt über technischen Support bis hin zu Spaziergängen und gemeinsamen Gesprächen.

Wie läuft die Zusammenführung der Tandems ab?

Beim Aufnahmegespräch mit der KISS-Koordinatorin gibt man an, welche Einsätze man leisten möchte. Dies wird in unserer Datenbank vermerkt. Wenn nun ein Genossenschaftsmitglied meldet, was für Unterstützung es benötigt, schaut sich unsere Koordinatorin die Matching-Vorschläge unseres Programms an und knüpft dann ein Tandem, das sich nicht nur auf dem Papier ergänzt, sondern auch menschlich. Unsere Mitglieder können sich jederzeit mit Fragen oder bei gewandelten Bedürfnissen an unsere Koordinatorinnen wenden – das ist begleitete Nachbarschaftshilfe. Wenn die Tandems gut laufen, haben sie nur wenig Kontakt mit der Betreuerin, am ehesten treffen sie sich an einem KISS-Kafi oder -Mittagessen. Wir unterstützen Selbständigkeit auf jeder Ebene.

Was gefällt Ihnen an Ihren Aufgaben?

Mir gefällt, dass ich als Freiwillige meinen Einsatz selbst bestimmen kann: Was, wann und in welchem Umfang ich tue. Mir gefällt auch der Kontakt mit den anderen Genossenschaftsmitgliedern, der mein eigenes Leben bereichert. Es freut mich, dazu beitragen zu können, dass das selbständige Sein und Bleiben älterer Mitbürger gefördert und die Einsamkeit vieler Menschen vermindert wird. Dadurch, dass KISS Senioren hilft, länger zu Hause bleiben zu können, wird zudem die öffentliche Hand finanziell entlastet. Auch stärkt KISS Frauen: Jede zweite Rentnerin hat keine Pensionskasse und lebt nur von der AHV. Da ist es sehr entlastend zu wissen, dass alle Dienstleistungen für unsere Mitglieder kostenlos sind. Zu guter Letzt macht KISS Freiwilligenarbeit mit der Zeitgutschriftensoftware sichtbar. Es ist wichtig und richtig aufzuzeigen, was mit Freiwilligenarbeit Tag für Tag für die Gesellschaft geleistet wird, zum Wohle aller.

Dabei kommt es auch zu generationenübergreifenden Begegnungen.

Spüren Sie erste Auswirkungen der Coronakrise?

Absolut. Schon seit Mitte März zeichnet sich bei den KISS-Genossenschaften ein grosser Zuwachs von Anfragen, Einsätzen und Mitgliedern ab. Unsere schnelle, unbürokratische Hilfe wird sehr geschätzt. Es zeigt sich, dass wir an dieser Stelle helfen können, offizielle Anlaufstellen und Einrichtungen zu entlasten. Nicht zuletzt zeigt es auch, dass das soziale Netz, das KISS immer pflegt, in Notsituationen wie jetzt wichtiger und wertvoller ist als je zuvor.

Steckbrief

Name:
Tabea Zimmermann Gibson

Alter:
50

Wohnort:
Zug

 

Engagiert sich bei KISS seit:
2016

Infos:
www.kiss-zug.ch