Grüne Oasen – von der Stadt bis ins Wohnzimmer
In vielen Städten führt der Weg zurück zur Natur: In Parks und Innenhöfen, auf Terrassen, Dächern und an Hausfassaden entstehen begrünte Flächen. Das Grün im städtischen Grau ist mehr als nur schön. Es ist eine Investition in das Wohlbefinden der Stadtbewohner und das Klima.
Die Mittagspause im Park, der Feierabendspaziergang am See, die Sonntagsrunde durch den benachbarten Wald. Dem Vogelgezwitscher lauschen, den Ausblick ins Grüne geniessen, entschleunigen. Dort, wo wir von Natur umgeben sind, atmen wir auf, tanken Kraft. Die Relevanz des städtischen Grüns wurde für viele von uns durch die Corona-Pandemie in höchstem Masse vor Augen geführt. Begrünte Aussenräume wurden zu Zufluchtsorten nach einem langen Tag im Homeoffice, boten ein wenig Abwechslung im zähen Fluss der immer gleichen Tage. Balkone, Parks und Innenhöfe wurden zu den einzigen verbleibenden Orten der Begegnung und des sozialen Austauschs. Die wohltuende Wirkung von Pflanzen und grünen Landschaften kam uns in dieser Zeit ebenfalls entgegen. Dass Natur der Psyche gut tut, belegen zahlreiche Forschungsergebnisse aus der Psychologie. Grüne Räume bedeuten Erholung für Körper und Geist.
Stress and the City
Diese Tatsache ist besonders relevant, weil Städte als Lebensraum der Zukunft gelten. Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass im Jahr 2050 mehr als zwei Drittel aller Menschen im urbanen Raum leben werden. Wer in einer Stadt lebt, hat jedoch ein höheres Risiko, psychisch zu erkranken. Die Forschung des Berliner Psychiaters und Stressforschers Prof. Dr. med. Mazda Adli zeigt: Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, ist bei Städtern etwa 1,5-mal so gross. Angsterkrankungen treten 1,2-mal so häufig auf. Besonders deutlich ist der Unterschied bei der Schizophrenie: Das Risiko dafür ist bei Stadtbewohnern doppelt so hoch wie bei Landbewohnern. Adli erklärt das mit der erhöhten Stressbelastung, welcher Stadtbewohner ausgesetzt sind. «Sozialen Stress» nennt er diese Form von Stress, die aus der Kombination von sozialer Dichte und sozialer Isolation entsteht. Zu viele Menschen auf engem Raum, die aber gleichzeitig einsam sind. Wie muss eine Stadt also sein, damit sie lebenswert ist und ihre Bewohner nicht krank macht?
Urbane Grünräume zum Wohlfühlen
Freiräume und Grünflächen prägen eine Stadt und die dortige Lebensqualität entscheidend. Städtische Erholungsräume helfen Menschen dabei, individuellen Stress abzubauen, sich physisch und psychisch zu regenerieren. Der «soziale Stress» wird dadurch aber nicht beseitigt. Für eine gesunde, lebenswerte Stadt braucht es neben grünen Erholungsräumen auch Begegnungsräume, die soziale Interaktion ermöglichen. Erholung und individuelle Rückzugsmöglichkeiten muss es gleichermassen geben wie Anreiz und Stimulation. Grün im öffentlichen Raum sollte Menschen dazu einladen, vor die Tür zu gehen und sich mit anderen zu treffen. Erlebnisse, Begegnungen und verschiedene Formen des Miteinanders, die so entstehen, wirken sozialer Isolation vieler Stadtbewohner entgegen. Eine nachhaltige und zukunftsträchtige Stadtplanung bedeutet vielseitige Nutzbarkeit für unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen und über alle Generationen hinweg. Parks zum Durchatmen, Spielplätze, wo sich Jung und Alt treffen, Nutzgärten, in denen Stadtbewohner gemeinsam Gemüse anbauen. Die Stadt von morgen ist ein Ort, in welchem Stadtstruktur und Architektur die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bewohner aktiv fördern.
Heiss, heisser, am heissesten
Solche positiven Effekte der Natur auf den Menschen werden als Ökosystemleistungen bezeichnet. Und davon hat der Einsatz von Pflanzen in urbanen Umgebungen eine ganze Reihe. Besonders relevant sind diejenigen, die dabei helfen, Herausforderungen wie Klimawandel und Verstädterung zu bewältigen. Laut dem Bundesamt für Umwelt ist die zunehmend grössere Hitzebelastung in Städten und Agglomerationen eine unmittelbare Auswirkung des Klimawandels. Laut den Klimaszenarien CH2018 muss die Schweiz bis 2050 mit vermehrt langen und trockenen Sommern, aber auch mit regelmässigen Starkregenereignissen rechnen. Urbane Zentren stellt das vor grosse Herausforderungen: Wegen der vielen versiegelten Flächen, der schlechten Luftzirkulation, fehlendem Schatten und der Abwärme von Verkehr und Industrie staut sich hier die Hitze. Oberflächen wie Glas reflektieren das Sonnenlicht, zusätzlich speichern Beton-, Asphalt- und Gebäudeflächen die Wärme. Im Sommer werden Städte durch die dichte Bebauung und fehlende Luftkorridore zu regelrechten Wärmeinseln. Durch diesen «Urban Heat Island Effect» kann es in Städten einige Grad wärmer sein als im Umland. Gleichzeitig ist es für das Regenwasser viel schwieriger, auf den bebauten, gepflasterten oder anderweitig versiegelten Flächen zu versickern. Die Folge sind überlastete Kanalisationsrohre und überflutete Strassen und Keller. Doch es ist nicht zu spät: Bauherren, Architekten und Stadtplaner haben Möglichkeiten gefunden, Natur und Stadt in Einklang zu bringen, um diese Probleme anzugehen.
Für ein besseres Stadtklima und mehr Biodiversität
Grünflächen haben einen entscheidenden Einfluss auf das Mikroklima von Städten. Urbane Vegetation kann die Umgebungstemperatur reduzieren, indem sie Schatten spendet, durch Verdunstung kühlt und die Sonnenstrahlung absorbiert, sodass sich Gebäudefassaden und deren Innenräume weniger aufheizen. Eine weitere wichtige Ökosystemleistung besteht darin, dass städtische Grünräume CO2 binden und gleichzeitig Sauerstoff produzieren. Zudem filtern Pflanzen Staub und Schadstoffpartikel aus der Luft und sorgen so für eine bessere Luftqualität. Ein immenser Vorteil bei dem hohen Verkehrsaufkommen und der Feinstaubbelastung in Städten. Bei Starkregen helfen begrünte Flächen dabei, Niederschlagswasser zurückzuhalten und zu speichern. Damit sind sie ein entlastender Puffer für die Kanalisation. Plus: Je mehr grüne Areale und Pflanzen vorhanden sind, desto stärker dämpfen sie den Schall und reduzieren so die Lärmkulisse. Das kommt den Stadtbewohnern genauso zugute wie vielen Vogel- und Insektenarten, die sich dadurch ihren Lebensraum zurückerobern können.
Es geht hoch hinaus
Doch was tun, wenn der bebaubare Raum in den Städten knapp ist? Auf dieses Problem antworten Architekten mit neuen Formen der Begrünung und versetzen Gärten, Bäume, Sträucher und Wiesen an andere Orte. Weltweit entwerfen sie grüne Gebäude – mit Pflanzen an Fassaden, auf Dächern, Terrassen und Balkonen. Parkhäuser, Einkaufszentren, Tramtrassen und Verwaltungsgebäude sind die neuen Schauplätze des städtischen Grün. In städtischen Gebieten, wo der Platzmangel dazu zwingt, in die Höhe zu bauen, kommt das Grün einfach mit. So schön die Fassadenbegrünung auch aussehen kann, so leicht kann sie von Stadtplanern und Architekten als schnelle Lösung benutzt werden – eine, die optisch viel hermacht, aber viel zu pflege- und kostenintensiv ist und zu einer noch stärkeren Verteuerung von urbanem Wohnraum führt. Für eine nachhaltige Fassadenbegrünung bedarf es eines erschwinglichen Unterhalts und einer auf die Gegebenheiten abgestimmten professionellen Bepflanzung. Dann erfreuen die grünen Wände nicht nur das Auge und das Klima, sondern auch Hausbesitzer und Mieter.
Vertikale Gärten
Immer mehr Grün sieht man auf den Dächern der Städte. Auch hier ist die Verschmelzung von Pflanzen und Architektur formschön wie auch funktional. Die Pflanzen auf den Dächern nutzen das Regenwasser, das sich im Substrat sammelt, zum Wachsen. Wenn sie das Wasser verdunsten, sorgt das im Sommer für willkommene Kühlung. Und im Winter fungiert die Dachvegetation als Wärmeisolator. Zudem schützt die Begrünung vor Witterungseinflüssen und kann die Lebensdauer eines Dachs bis auf das Doppelte verlängern. Praktisch.
Als praktisch stellen sich urbane Dächer auch auf eine weitere Art heraus: Inzwischen gärtnern hier die Bewohner vermehrt. Kleine Kräutergärten auf Wohnungsbalkonen bekommen damit Verstärkung von richtigen Nutzgartenflächen, die auf den städtischen Dächern viel Platz für urbanen Gartenbau bieten. In Paris entsteht beispielsweise auf dem Dach des Messegebäudes Paris Expo Porte de Versailles derzeit eine riesige Rooftop-Farm – die grösste der Welt soll es gar werden. Bei Grossprojekten wie diesem spricht man von «Vertical Farming», im kleineren Rahmen von «Urban Gardening». Die urbanen Gärten sind Gemüselieferanten und Erholungsräume zugleich. Diese neuen Oasen der Ruhe nehmen eine wichtige Rolle ein, wenn es darum geht, sozialen Stress abzubauen. Sie stärken den Kontakt zwischen Nachbarn und tragen zu lebenswerten Quartieren bei.
Liaison aus Natur und Architektur: In den vergangenen Jahren haben weltweit immer mehr Architekten Pflanzen in ihre Gebäudekonzepte einfliessen lassen.
Das grüne Zuhause
Das Bedürfnis nach grünen Oasen verspüren wir nicht nur in der Stadt, es begleitet uns bis in unser Zuhause. Noch nie verbrachten Schweizer mehr Zeit im Garten als im letzten Jahr: Gärten boomen, unabhängig von Platz und Budget. Eine Analyse von prontopro.ch, einem Online-Portal für Dienstleistungen, zeigt: Die Nachfrage nach Garten- und Pflanzenpflegediensten wuchs seit dem ersten Lockdown um 27 Prozent. Statt in Ferien wird jetzt in Haus und Garten investiert. Überraschen tut die Hinwendung zum Grün in den eigenen vier Wänden nicht, schaffen doch Pflanzen auch in Innenräumen nachweislich eine bessere Atmosphäre, steigern das Wohlbefinden und wirken stressreduzierend.
Ob im privaten oder im urbanen Rahmen: Es kann nicht genug Grün in unserem Leben geben. Idealerweise geniessen wir es bald wieder gemeinsam mit anderen – bei der Mittagspause im Park, beim Ausflug ins Grüne oder beim Grillfest im Garten.
Die schönsten urbanen Grünoasen der Schweiz
Der Kannenfeldpark in Basel
Mit seinen rund 9 Hektar Fläche ist der beliebte Stadtpark auch gleichzeitig der grösste Park Basels. Die Grünanlage fasziniert mit ihrer Weite und den über 800 Bäumen. Durch seine Grösse und den Rundweg ist der Park ideal für Jogger und Spaziergänger. Für Abwechslung sorgen zahlreiche Spielinseln mit Spielgeräten, ein Planschbecken, ein Kiosk, diverse Kunstobjekte sowie ein Rosengarten.
Der Kamelienpark in Locarno
Im prächtigen Parco delle Camelie in Locarno finden Blumenliebhaber, Natur- und Ruhesuchende über 850 Kamelienarten, verteilt auf einer Fläche von 10 000 Quadratmetern. Der Park ist in eine Vielzahl von Beeten aufgeteilt und so gestaltet, dass er eine Art Labyrinth bildet. Hier finden sich zudem zwei Teiche mit Wasserspielen, ein didaktischer Pavillon sowie ein kleines Amphitheater, das Besuchern eine willkommene Sitzgelegenheit mit herrlichem Blick auf den Lago Maggiore bietet.
Der Alte Botanische Garten in Zürich
Die verwunschene Oase an der Zollikerstrasse mitten in Zürich bietet Ruhe und Ausblicke – nur 12 Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt. Der Hügel im Stadtzentrum war einst Bollwerk für die Verteidigung der Stadt. Der
Garten wurde 1837 angelegt und besticht durch seine Sammlung an exotischen und alten Bäumen. Der mittelalterliche Kräutergarten, das oktogonale Palmenhaus von 1851 und versteckte Sitzgelegenheiten laden zum Entdecken und Entspannen ein.
Der Guggihügel in Zug
Vom «Guggi» bietet sich nur wenige Schritte von der Altstadt entfernt ein atemberaubender Blick auf die Stadt. Der kurze Aufstieg, welcher hinter der ehemaligen Hauptpost beginnt, lohnt sich: Der Guggihügel ist eine kleine Grünoase mitten in der Stadt. Hauptakteur ist jedoch die Aussicht. Von hier blickt man auf die Altstadt mit ihren Türmen, die Burg und die Kirchen. Dahinter liegen der glitzernde See und die mächtigen Berge. Der Sonnenuntergang vom Guggihügel ist legendär.
Klimawandel beeinflusst Pflanzenauswahl und -pflege
Die Alpen bilden eine natürliche Klima- und Vegetationsgrenze. Der Klimawandel verändert diese Grenze und die damit einhergehenden Bedingungen. Gartenpflanzen, die heute gut wachsen, könnten in 20 Jahren aufgrund der steigenden Temperaturen Probleme haben. Die Temperatursteigerung beeinflusst einerseits die Entwicklungsstadien von Pflanzen und führt andererseits zu Zersetzung und Mineralisierung und somit zum Rückgang der Kohlenstoffvorräte im Boden. Faktoren, die bei der Planung und Pflanzenauswahl berücksichtigt werden müssen.
Das betrifft den Südkanton Tessin bereits heute, denn hier herrschen im Vergleich zur restlichen Schweiz höhere Temperaturen vor. Einer, der über diese Thematik genauestens Bescheid weiss, ist Simone Acerbis. Der Direktor der Garten- und Landschaftsbaufirma Acerbis Paesaggistica SA in Bedano arbeitete für die Überbauung Residenza IN Centro in Mendrisio mit der Alfred Müller AG zusammen. Bei der Pflanzenauswahl setzte er speziell auf Arten, die die höheren Temperaturen im Tessin gut aushalten, auf der Alpennordseite hingegen nicht berücksichtigt werden.
Laut Acerbis werden sich zukünftig Pflanzen eignen, die extremen Wetterbedingungen trotzen können. «Eine Pflanzenmischung, die auf den Standort abgestimmt ist, ist ausschlaggebend. Die Wind- und Bodenverhältnisse wie auch Sonneneinstrahlung, Feuchtigkeit und Niederschläge sind ebenfalls zu berücksichtigen», so Simone Acerbis. «Die richtige Pflanzenwahl kann sogar die Fruchtbarkeit des Bodens verbessern. Eine Beratung und die Planung durch Fachbetriebe sind deshalb entscheidend. Die fachkundige Pflanzung sowie ein regelmässiger Unterhalt durch eine Fachperson erhöhen die Lebensdauer der Flora und stellen sicher, dass Probleme frühzeitig erkannt werden.»