Dem Glück auf der Spur

Wie kann ich mein Leben verändern, um glücklicher zu sein? Ökonom und Glücksforscher Mathias Binswanger erklärt im Interview, welche Faktoren Glück bedingen, und gibt Tipps für die Suche nach dem persönlichen Glück.

Herr Binswanger, Glück ist bekanntlich individuell. Gibt es dennoch eine allgemeingültige Definition?

Wie alle wirklich wichtigen Dinge im Leben kann man Glück nicht genau definieren. Liebe, Wohlbefinden, Glück: Das sind alles vage Begriffe, die für unterschiedliche Menschen Unterschiedliches bedeuten. Es gibt keine Messgeräte, an die man Menschen anschliessen könnte und die uns einen objektiven Glückswert anzeigen. Zwei Ökonomen haben bereits im 19. Jahrhundert von einem solchen Gerät geträumt: einem Hedonometer. Hier hat uns der technische Fortschritt aber bis heute im Stich gelassen. Des-halb müssen wir Menschen zu Glück befragen. Zwar lassen sich Hirnströme oder gewisse Substanzen im Gehirn messen, doch erklären sie nicht, wieso die Testperson in diesem Moment Glück empfindet.

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Der gebürtige St. Galler ist Autor zahlreicher Bücher und Arti- kel in Fachzeitschriften und in der Presse. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen.

Sie sind Volkswirtschafter und Glücksforscher. Sind solche Befragungen Teil Ihrer Arbeit?

Ich mache keine Befragungen, zum Thema Glück gibt es genügend Daten. Ich interpretiere sie. Als Ökonom beschäftige ich mich vor allem mit dem Zusammenhang zwischen Glück und Einkommen. Viele Menschen denken, dass es in der Ökonomie darum geht, wie man möglichst viel Geld verdient. Doch etwas anderes steht im Zentrum: der Nutzen. In der ökonomischen Theorie macht man die Annahme, dass Haushalte ihren Nutzen maximieren wollen. Haushalt meint eine Gruppe von Menschen, die miteinander eine Wirtschaftseinheit bilden. Das heisst letztlich nichts anderes, als dass Menschen versuchen, ihre Bedürfnisse optimal zu befriedigen und Dinge zu tun, die sie glücklich machen. Das ist das Ziel ökonomischer Aktivitäten. Wenn ich zum Beispiel finde, dass mich mehr Freizeit glücklicher macht als Arbeit und ich dafür auf einen Teil meines Einkommens verzichte, macht das ökonomisch betrachtet absolut Sinn, weil es zu meinem persönlichen Wohlbefinden beiträgt. Glück ist ein stark ökonomisches Thema und nicht nur etwas für die Psychologie oder die Philosophie.

Hierzulande leben wir auf einem sehr hohen Niveau. Auch im «World Happiness Report» ist die Schweiz stets oben mit dabei. Trotzdem hat man den Eindruck, dass viele Menschen unglücklich sind. Wie kommt das?

Das liegt zum einen daran, dass Personen bei Befragungen eher zu positive Bewertungen abgeben. Dieser sogenannte Social Disability Bias scheint in der Schweiz stark ausgeprägt zu sein. Ganz nach dem Motto: Man hat alles, da muss man doch glücklich sein. Zum anderen haben wir eine Unzufriedenheitskultur, die wir geradezu zelebrieren. Wir dürfen uns nie zufriedengeben mit dem, was wir erreicht haben. Nicht auf dem ausruhen, was wir haben. Wir werden ständig zu Vergleichen angestiftet: Wenn ich etwas tue, muss ich zu den Besten gehören. Ich muss wissen, wo ich stehe und ob ich mich in der Rangliste verbessert habe. Wirke ich bei der Arbeit glücklich und zufrieden, kommt das nicht gut an. Es erweckt bei anderen sogar den Eindruck, dass ich gar nicht richtig arbeite und unambitioniert bin. Also ist es besser, wenn ich mich gestresst und unzufrieden gebe. Diese Mentalität ist dem Glück nicht förderlich.

Es liegt in der menschlichen Natur, sich zu vergleichen. Wieso machen Vergleiche unglücklich?

Unter gewissen Umständen sind Vergleiche gesund und wirken motivierend. Gerade für Kinder ist das wichtig. Es kann ein Ansporn sein, wenn sie sich mit anderen messen. Im Erwachsenenalter können Vergeiche schnell über ein gesundes Ausmass hinausgehen. Mit den sozialen Medien hat die Ver-gleichsproblematik noch mehr an Dynamik gewonnen: Es ist ein ständiges Wettrennen, wer wie viele Follower und Likes hat. Menschen haben die Tendenz, sich nach oben zu vergleichen. Und es gibt immer andere, die mehr können, erfolgreicher sind und mehr besitzen.

Apropos Besitz: Häufig wird materieller Wohlstand mit Glück gleichgesetzt. Wie verändert Geld das Glücklichsein?

Es besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen materiellem Wohlstand und Glück. In einem armen Land, in dem die Menschen ums Überleben kämpfen, geht es ihnen natürlich besser und sie sind glücklicher, wenn sie einen höheren materiellen Wohlstand haben. Für die Mehrheit der Menschen auf dieser Welt gibt es diese Relation. In hoch entwickelten Ländern wie Europa, den USA, Kanada, Australien und Japan greift sie nicht. Denn ist ein bestimmtes Wohlstandsniveau erreicht, führt Mehreinkommen nicht dazu, dass Menschen durchschnittlich glücklicher werden. Für die Wirtschaft hat das die negative Begleiterscheinung, dass nicht mehr so viel konsumiert wird und sich auf einigen Märkten eine Sättigung einstellt. Da die Wirtschaft aber auf Wachstum ausgerichtet ist, wird versucht, den Konsum anzuheizen und den Menschen einzureden, dass sie glücklicher wären, wenn sie dieses oder jenes hätten. Wir leben nicht mehr in einer Bedürfnisdeckungs-wirtschaft, wo etwas produziert wird, weil ein Grund-bedürfnis besteht. Heute müssen wir die Bedürfnis-se erst wecken. Wir leben also in einer Bedürfnisweckungswirtschaft. Marketing ist ein wichtiges Instrument dazu. Und es funktioniert, der Konsum wächst von Jahr zu Jahr. Glücklicher werden wir dadurch aber nicht.

« Ein intaktes Sozialleben ist ein zentraler Glücksfaktor.»

Matthias Binswanger

Welche Faktoren sind also entscheidend für das persönliche Glück?

Neben einer finanziellen Absicherung braucht es Lebensbedingungen, die sozial verträglich sind: ein Grundniveau an Sicherheit, Demokratie. Auch die Arbeitsplatzsicherheit spielt eine wesentliche Rolle: Arbeitslosigkeit, aber auch nur die Angst vor Arbeitsplatzverlust sind grosse Unglücksfaktoren. In der Schweiz sind wir gut aufgestellt; die Mehrheit muss sich keine Sorgen um ihren Job machen. Hier ist eher die Selbstbestimmung bei der Arbeit relevant: Menschen, die ihrer Arbeit selbstbestimmt nachgehen können, sind zufriedener als diejenigen, die sich bei der Arbeit fremdbestimmt fühlen. Ein weiterer zentraler Glücksfaktor ist ein intaktes Sozialleben, denn der Mensch ist ein Herdentier. Die Vereinsamung ist heute eine ernst zu nehmende Gefahr. Man muss nicht einmal mehr zum Einkaufen rausgehen, sondern kann sich alles nach Hause liefern lassen. Im Alltag ergeben sich so immer weni-ger Kontakte. Und wenn etwas nicht mehr selbstverständlich ist, braucht es Anstrengung. Vielfach werden solche Anstrengungen nicht mehr unternommen.

Was kann man verändern, um glücklicher zu sein?

Dazu muss man zuerst wissen, was einen überhaupt glücklich macht. Das wissen viele Menschen gar nicht. In einem ersten Schritt sollte man sich selbst analysieren: Was mache ich jeden Tag? Wann bin ich glücklich? Was sind Dinge in meinem Leben, die mich unglücklich machen? Und wie kann ich sie eliminieren? Zum Beispiel weiss man, dass Menschen in der Zeit, in der sie pendeln, am unglücklichsten sind im Tagesverlauf. Und Menschen, die weniger oder gar nicht pendeln, sind im Durchschnitt glücklicher. Es ist nicht nur das Pendeln an sich, sondern auch der tägliche Stress, der damit verbunden ist. Man ist voll durchgetaktet, muss die Kinder in die Krippe oder Schule bringen, zur Arbeit – abends Glück ist ein höchst ökonomisches Thema: Volkswirtschafter Mathias Binswanger untersucht den Zusammenhang zwischen Einkommen und Glück. das Gleiche. Das ist kein glücksfördernder Alltag. Die Frage ist: Muss ich das in einem der reichsten Länder der Welt so machen? Auch geht es darum, ob mich meine Arbeit erfüllt. Ist es wirklich das, was ich machen möchte? Welche Möglichkeiten gibt es, das zu ändern, wenn ich unzufrieden bin? Solche Fragen gilt es zu klären, um Veränderung anzustossen.

Schafft man das alleine oder nur mit Unterstützung?

Einige Menschen schaffen es alleine, andere nie. Im Idealfall erkennt man selbst, dass man unglück-lich ist. Oder andere Menschen helfen einem dabei, den Entscheid zur Veränderung zu treffen. Doch wir leben in einer Gesellschaft, in der wir dauerhaft abgelenkt sind. Grosse Fragen stellen wir uns in der Regel nicht mehr, weil wir uns immer mit kleinen Dingen ablenken. Anstatt das Leben zu ändern, schaut man lieber ein Ratgebervideo darüber, wie man das Leben ändert. Und noch eines. Dann ent-deckt man etwas völlig anderes, und schon ist das Ursprungsthema vergessen. Wir sollten manchmal lieber einen Schritt zurücktreten und uns selbst betrachten.

Verraten Sie uns, welche Massnahmen Sie in Ihrem Leben ergreifen, um glücklich zu sein?

Ich wohne unter der Woche unmittelbar neben meinem Arbeitsplatz. Die Pendelzeit habe ich so auf null reduziert. Das ist für mich ein Riesenbeitrag zu einem glücklichen Leben. Zudem habe ich vor etwa 25 Jahren das Fernsehen eliminiert. Eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Beim Fernsehschauen, Streamen oder beim Konsum von Social Media kann man sehr schnell unglaublich viel Zeit verlieren. Die Dinge, die uns guttun, brauchen anfangs aber immer eine gewisse Anstrengung. Etwas zu schauen, braucht keinerlei Anstrengung. In dieser Zeit verdrängt man andere Dinge. Oft verbringen Menschen, die behaupten, sie seien gestresst und hätten keine Zeit, Stunden im Internet.

Was macht Sie besonders glücklich?

Freunde treffen und Musik machen. Ich mag Jazz und spiele Vibrafon. Am glücklichsten bin ich in guter Gesellschaft – oder früh am Morgen, wenn ich aufwache und noch ein wenig liegen bleiben kann. Zur Arbeit habe ich es ja nicht weit.