Aufbruch: Wenn Mut belohnt wird

Aufbruch ist eine Entscheidung. Eine, die mit Risiken verbunden ist. Doch nur, wer gewohnte Pfade verlässt, kann belohnt werden. Stillstand bedeutet auf Dauer Rückschritt. Im Privat- wie im Berufs­leben gilt: Weiterentwicklung, Transformation und Innovation sind nur möglich, wenn man Neues wagt.

Eine Vision haben, mutig sein, gegen Widerstände ankämpfen und Veränderungen meistern: Die Themen sind uns bestens bekannt. Seit Jahrtausenden schon beschäftigen sie die Menschheit als Gegenstand verschiedenster Heldenmythen. Ein Aufbruch ins Ungewisse, Risiken, Abenteuer und Prüfungen, die der kühne Held durchläuft und bewältigt, um schliesslich für seinen Heldenmut belohnt zu werden. Ende gut, alles gut.

Ausbrechen aus der Komfortzone

Noch heute repräsentiert der Archetyp des Helden erstrebenswerte Eigenschaften wie Furchtlosigkeit, Resilienz und Veränderungs­bereitschaft. Immerhin sind es inzwischen auch Heldinnen, die ihren Mut zusammennehmen und widrige Umstände überwinden, um an ihr Ziel zu kommen. Auch bedeutet ein Aufbruch in der Regel nicht mehr ein tatsächliches Aufbrechen hinaus in die weite Welt. Man muss keine Heldentaten vollbringen und dabei sein Leben aufs Spiel setzen. Heute geht es bei den meisten von uns darum, aus der eigenen Komfortzone auszubrechen. Und die ist sehr individuell und bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Die Grenzen unserer Komfortzone legen wir selbst fest. Für den einen kostet es grosse Überwindung, über die eigenen Gefühle zu sprechen, für den anderen, eine Präsentation vor vielen Leuten zu halten.

Wir Menschen sind Gewohnheitstiere, deren Verstand nach Bequemlichkeit und Sicherheit strebt. Mit Routinen fühlen wir uns geborgen, Neues und Ungewisses möchten wir möglichst vermeiden. Das ist praktisch im Alltag, weil es uns ermöglicht, die schiere Anzahl an Entscheidungsop­tionen in unserem täglichen Leben zu bewältigen. Das gibt uns Halt und Stabilität. Leider kann uns dieser Mechanismus aber auch im Weg stehen. Dann nämlich, wenn wir aus Angst vor Risiken und Neuanfängen Herausforderungen nicht annehmen oder Chancen ablehnen – und es dadurch versäumen, zu wachsen und uns weiterzuentwickeln.

Aufbruch ermöglicht Fortschritt

«Der Mensch liebt den Fortschritt, aber er hasst die Veränderung», soll schon der französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire gewusst haben. Ohne aufzubrechen, zu schreiten, mit der Zeit zu gehen, gibt es weder Neuanfänge noch kontinuierlichen Wandel. Beides ist wichtig – im Business, im Alltag, in der Gesellschaft. Denn Stillstand bedeutet auf Dauer Rückschritt. Nur durch den Willen zur Transformation und durch die Überwindung dazu, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, entstehen Visionen, Innovationen und Entwicklungen.

Wir erleben aktuell eine Phase des Umbruchs auf vielen Ebenen. Klimawandel, Digitalisierung, neue Technologien, die Frage nach sozialer und globaler Gerechtigkeit sowie nachhaltigem Wirtschaften und nicht zuletzt die Pandemie erzeugen Unsicherheiten. Gleichzeitig aber eben auch eine Aufbruchsstimmung, die neue Wege eröffnen kann. Privatpersonen wie Unternehmen erleben weitreichende globale und schnelle Veränderungen, für die es einiges an Anpassungs­vermögen bedarf. Und auch hier gilt: Die Bereitschaft zum Wandel und zur Weiterentwicklung erfordert dabei vor allem eines: Mut.

 

Für einen Aufbruch oder Neuanfang müssen Risiken eingegangen werden. Dafür fällt die Belohnung einer neuen Chance oftmals umso höher aus. gettyimages / Digital Vision / Klaus Vedfelt

Die Grundvoraussetzung für Veränderungen

Persönliches Wachstum ist ein fortlaufender Prozess. Ohne Mut kein Wachstum. Aber was genau ist Mut? Gemäss Duden ist Mut die Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden. Um unser Handeln angemessen zu steuern, brauchen wir aber beides: Mut und Angst. Denn Handeln ohne jegliches Einkal­kulieren von Risiken ist Leichtsinn. Wer mutig ist, handelt nämlich nicht unüberlegt: Mutige Menschen sind sich ihrer Fähigkeiten bewusst und wägen ab, welche Risiken eine Situation mit sich bringt.

Häufig verbinden wir Mut mit einer Aktion. Jedoch setzt Mut nicht unbedingt eine aktive Handlung voraus. Manchmal kann man auch mutig sein, indem man explizit nicht handelt. Wenn man sich zum Beispiel im Fall von Gruppenzwang nicht von anderen beeinflussen lässt, den eigenen Werten treu bleibt und zu seiner Meinung steht, kann das ebenso mutig sein. Nicht jedem Trend hinterherzulaufen, erfordert ebenfalls Mut.

«Nicht jedem Trend hinterherzulaufen, erfordert Mut.»

Mutige Schweiz?

Eine weitverbreitete Sehnsucht nach Mut macht die Studie «Mut in der Schweiz» sichtbar. Dazu hat die Forschungsstelle Sotomo im Auftrag der Allianz Suisse knapp 13’000 erwachsene Personen im Alter von 18 bis 70 Jahren zum Thema Mut befragt. Was die Schweizerinnen und Schweizer mit Mut verbinden, zeichnet ein vielfältiges Mut-Porträt der Schweiz. Für 30 Prozent der Befragten ist Mut primär mit einem Wagnis verbunden. Für 28 Prozent bedeutet Mut, sich zu überwinden: die Komfortzone verlassen oder Ängste besiegen. 25 Prozent bringen Mut mit Verantwortung in Verbindung. Hier geht es in erster Linie um Zivilcourage und das Einstehen für andere Personen oder die eigene Meinung. Und 17 Prozent finden schliesslich, dass Mut vor allem bedeutet, zu sich und seinen inneren Bedürfnissen zu stehen.

Die Studienergebnisse zeigen, dass Mut weit mehr als eine aussergewöhnliche und riskante Tat ist. Mut ist auch im normalen Alltag gefordert. 57 Prozent der Befragten finden, dass «Nein sagen zu können» besonders viel Mut verlangt. 54 Prozent verbinden Alltagsmut mit «Probleme ansprechen». Auf dem dritten Platz folgt mit 45 Prozent die Nennung «zur eigenen Meinung stehen». Zu sagen, was Sache ist, fordert Schweizerinnen und Schweizer in ihrem Alltag offenbar besonders. Hinzu kommt, dass sich zwar die meisten Befragten als mutig einschätzen – aber nicht so mutig wie die Menschen in den Nachbarländern. Viele wären selbst gern noch mutiger.

 

Mut lässt sich erlernen

Doch weshalb sind manche Menschen mutiger als andere? Wissenschaftler vermuten, dass die genetische Veranlagung eine Rolle spielt.

Neben dem Naturell sorgen auch die Erfahrungen, die jeder Mensch im Verlauf des Lebens macht, dafür, wie mutig man wird. Psychologen sind überzeugt, dass Kinder Vorbilder brauchen, um Mut entwickeln zu können. Solche Mut-Vorbilder können Eltern, Lehrpersonen oder auch fiktive Charaktere sein – Menschen, die mutig handeln und die Kinder beispielhaft ermutigen, ihre Meinung zu vertreten und sich auszuprobieren. Auch Mutproben, mit denen Kinder und Jugendliche sich gegenseitig herausfordern, können nützlich sein. Heranwachsende lernen so, Ängste zu überwinden, und gewinnen an Selbstsicherheit. Selbst im Erwachsenenalter lässt sich Mut noch erlernen respektive trainieren. Wie ein Muskel, der nach und nach immer stärker wird, wenn man ihn regelmässig benutzt. Die Anstrengung zahlt sich aus, denn Mut wird immer belohnt: entweder mit Erfolg oder mit Erfahrungen. Um einen Aufbruch und Veränderungen einzuleiten, muss man den Sprung ins kalte Wasser einfach wagen.

«Schon immer suchten die Menschen neue Wege, um die Welt zu verbessern.»

Transformation und Innovationsgeist

Auch wenn oft ungewiss ist, was einen erwartet, so brechen wir Menschen doch immer wieder zu Neuem auf. Wir suchen neue Wege, um unseren Alltag, unser Leben und in manchen Fällen sogar die Welt mit neuen Ideen zu verbessern. Letzteres bleibt freilich nur einigen wenigen vorbehalten. Dennoch: Erst aus Mut, Neugier, Instinkt und Einfallsreichtum entstehen Innovationen und Fortschritt. Und die Schweiz bietet einen sehr guten Nährboden, um Ideen aller Art spriessen zu lassen. Im Jahr 2021 war die Schweiz im Ranking des «Global Innovation Index» das innovativste Land – dies von insgesamt 132 Ökonomien weltweit, die nach ihrer Innovationskraft bewertet wurden. Durch ihre hohe Innovationskraft behaupten sich hiesige Unternehmen in vielen Branchen erfolgreich gegen die internationale Konkurrenz.

Und doch: Wie unser Held in den Mythen, der aufbrechen muss, um etwas zu verändern, werden Unternehmen heute durch Wettbewerb, Globalisierung, Klimawandel & Co. zu Veränderungen aufgefordert. Um den Anschluss nicht zu verpassen, müssen Organisationen Etabliertes und Bekanntes hinterfragen. Sie müssen die Fähigkeit entwickeln, neue Sichtweisen auf Probleme einzunehmen. Und sie müssen agiler werden, um sich weiterentwickeln zu können. Erfolgreich ist der, der die Zukunft aktiv gestaltet, anstatt nur dem Markt zu folgen. Neben wichtigen Stärken wie Konstanz und Zuverlässigkeit gilt Transformation als essenzieller Faktor für unternehmerischen Erfolg.

Aus der eigenen Komfortzone herauszutreten, fällt vielen Menschen schwer. Doch es lohnt sich. gettyimages / Digital Vision / Klaus Vedfelt

Bereitschaft zum Wandel

Transformation ist allerdings alles andere als einfach. Dafür braucht es eine gute Vision und eine starke Innovationskultur. Vielfach findet man in Unternehmen indes eine unzureichend verankerte Innovations­strategie, organisatorische Blockaden, lange Adaptionszeiten, Inflexibilität, Entscheidungsschwäche und eine ungenügende Kreativitätsförderung vor. Fehlen Neugierde und der Mut, Fehler zu machen, steht man schnell auf der Bremse.

Die wichtigste Antriebskraft für Wandel und Transformation in Unternehmen scheint laut Experten ein Umfeld zu sein, welches gezielt die Kreativität der Mitarbeitenden, Interdisziplinarität, kulturelle Diversität und eine offene Fehlerkultur fördert. Wenn Abteilungen nicht voneinander abgegrenzt sind und verschiedene Diszi­plinen gemeinsam denken und entwickeln dürfen, bietet das eine ideale Basis für Ideenreichtum und Fortschritt. Schliesslich sind es die Mitarbeitenden, die wissen, an welchen Stellen es hapert und wo intelligente Lösungen zu reellen Verbesserungen führen. Jeder Mitarbeitende ist somit auch ein potenzieller Innovator. Gestützt werden sollte das Ganze durch ein klares Zielbild von oben: Die Werte und die generelle Haltung eines Unternehmens dienen den Mitarbeitenden als Kompass und geben ihnen Halt und Sicherheit in unsicheren Zeiten.

Aufbruch ist eine Sache, weiter­gehen eine ganz andere

Doch die Rahmenbedingungen allein sind noch kein Garant für Wandel. Die Zeit nach dem Aufbruch, jene der Umsetzung, kann arbeitsintensiv und langwierig sein. Hier ist Durchhaltewillen gefragt. Das Etablieren einer positiven Fehlerkultur ist in diesem Zusammenhang unabdingbar. Scheitern muss von allen Beteiligten als ein Entwicklungsschritt im Prozess und nicht als Niederlage angesehen werden. Kinder fallen bekanntlich 3’000-mal hin, bis sie laufen können. Genauso muss in einer Organisation verankert sein, dass man fallen, auf­stehen, lernen und besser werden darf. Genauso würde es den meisten von uns auch im Privatleben nicht schaden, Fehler eher zuzulassen und als Teil des eigenen Transformationsprozesses anzusehen. Ohne Fehler kein Fortschritt.

«Stillstand bedeutet auf Dauer Rückschritt.»

Der Held in jedem von uns

Jeder Aufbruch ist ein Übergangsprozess, der uns herausfordert. Der von uns fordert, das Risiko des Neuen und Unbekannten einzugehen. Ob in der Arbeitswelt oder im Privatleben: Nicht selten verharren Menschen zu lange im Istzustand. Aus Furcht vor dem Fremden zögern sie den Schritt nach vorne immer wieder hinaus. So bleibt der Heldenanteil in ihnen häufig lahmgelegt. Dabei stecken in jedem von uns Potenziale, die nur darauf warten, ausgeschöpft zu werden. Oder mit den Worten von Mark Twain: «Jeder Mensch mit einer neuen Idee ist ein Spinner, bis die Idee Erfolg hat.»